Uff, was für ein schweres Wort…
Leider scheint es so, dass dieses Thema immer noch ein großes Tabu in unserer Gesellschaft ist! Die ältere Generation ist nie wirklich in Kontakt damit gekommen, bei vielen fehlt das Verständnis. Vielen ist es aber oft auch einfach peinlich, offen darüber zu sprechen. Ich war schon immer sehr offen damit, das hilft mir auch sehr mit dem Umgang. Da die Depression zu meiner Krankheitsgeschichte und meinem Lebenslauf dazu gehört, machen du und ich dieses Fass doch jetzt mal auf und gehen das Ganze an!
Ich habe dir oben zur Auffrischung nochmal meinen Werdegang im Bezug auf meine Anämie und Depression verlinkt. Hier werde ich jetzt etwas detaillierter auf einige Punkte eingehen.
Es war einmal vor langer Zeit…
Das erste Mal in Berührung gekommen mit dem Thema bin ich bei meiner ersten Arbeitsstelle nach der Ausbildung. Ich habe viel zu früh in einem kleinen Betrieb gearbeitet, der stetig gewachsen ist. Dort mussten sich Strukturen und Abläufe erst finden und die Verantwortung die jeder einzelne zu tragen hatte, war enorm hoch. Mein Gebiet war unter anderem der Einkauf von allen benötigten Materialien und Dienstleistungen. Früh habe ich hier das „über den Tellerrand schauen“ gelernt. Hier und da überall in der Firma ausgeholfen (LKWs be- und entladen, Messestand aufbauen, Werksverkauf, etc.). Da es sich um einen Familienbetrieb handelte, war es für mich schwer die notwendige Distanz aufzubauen. So hatte ich kaum zusammenhängenden Urlaub um mal den Kopf frei zu bekommen. Hinzu kam ein sehr weiter Arbeitsweg (einfache Strecke ca. 50 Minuten, 45 km).
Nach ca. 8 Jahren ohne wirklich zu merken, dass ich langsam aber sicher in ein Burnout gerutscht bin, war es dann soweit: Vom Schreibtisch in die Psychiatrie. Ich konnte einfach nicht mehr, habe total abwesend in den Bildschirm gestarrt und habe nichts mehr auf die Reihe bekommen. Recht kurzfristig konnte ich stationär in einer Klinik aufgenommen werden. Dort habe ich sehr viel über das Thema Depression und mich gelernt!
Jetzt ist es so, dass es manchmal schwer fällt an sich selbst zu arbeiten und zu erkennen wo die eigenen Probleme / „Schwachstellen“ / Baustellen / Themen liegen. Wenn man in einer Therapie ist, werden oft Sachen aufgewühlt, die einem vorher nicht bewusst waren! Das sind ganz neue Felder die bearbeitet werden wollen und die Situation nicht von jetzt auf gleich verbessern. Es erfordert sehr viel, sehr anstrengende Arbeit um zu lernen, zu erkennen, zu ändern, zu akzeptieren und damit umzugehen… Oft sagt man so salopp „Eine Depression ist nicht wie ein Husten oder ein gebrochenes Bein.“ – es benötigt wirklich einiges mehr an Zeit! Jetzt könnte man darüber diskutieren ob eine Therapie dann die Situation nicht eigentlich eher verschlimmert??? JEIN! Klar würde sich jede*r wünschen, dass eine Depression im Handumdrehen mit einem Fingerschnips wieder verschwindet. Es ist sehr individuell von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manchmal gibt es „nur“ eine konkrete Ursache, einen Auslöser für die Situation – dann ist es vermeidlich leicht zu beheben. Aber in meinem Fall gestaltete es sich als deutlich aufwendiger.
Symptome (m)einer Depression
Doch eins nach dem anderen, bevor ich auf meine Themen eingehe, möchte ich dir einige meiner Symptome aufzeigen, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Die meisten sollten selbsterklärend sein, wenn du aber Interesse an detaillierten Erklärungen hast, schreib mir doch gern!
- Antriebslosigkeit
- Schlafstörung
- Grübeln
- Verlust an Freude
- kein Interesse an Sex
- soziale Isolation
- alles grau/schwarz-weiß Denken
- finanzielle Sorgen
- Angst/Panikattacken
- Selbstwertgefühl/Minderwertigkeit
Ich denke, du kannst dir unter den einzelnen Punkten bestimmt vorstellen, was damit gemeint ist. Du siehst, vieles geht ebenfalls Hand in Hand mit den Symptomen die ich bezüglich der Anämie bereits geschildert habe.
Meine Baustellen – „Können wir das schaffen?“ JA, WIR SCHAFFEN DAS!!!
Jetzt wird es sehr intim – ich nehme mir den Mut, lasse „die Hosen runter“ und gebe dir einen Einblick in meine größten Baustellen! Puh, ich merke trotz meiner eigentlichen Offenheit beim Thema Depression jetzt gerade beim Schreiben, dass es mir doch enorm schwer fällt hier die Karten auf den Tisch zu legen. Egal, los! Hier meine drei größten Themen im Überblick, ich versuche dir danach dann genauer zu erklären was ich damit meine:
- Krankheit des Vaters
- Emotionsregulation
- inneres Kind
Ich bin in einem behüteten Elternhaus mit 2 älteren Geschwistern aufgewachsen. Meinen Vater kannte ich leider nur als sehr kranken Menschen. Er hatte unter anderem die rheumatische Krankheit Morbus Bechterew. Diese tritt schubweise auf und erzeugte bei ihm auch starke Schmerzen. Aufgrund der Medikamente (Morphium, etc.) sind im Laufe der Zeit die Organe stark geschädigt worden, so kam es zu weiteren Problemen mit Herz, Lunge, etc. Zusätzlich hatte er Parkinson. Die letzten Jahre bis zu seinem Tod im Januar 2022 war sein Zustand schon sehr schlecht. Er war pflegebedürftig und kaum noch in der Lage am normalen Leben teilzunehmen. Ich habe ihn selten fröhlich und gut gelaunt erlebt. Eher immer sehr in sich zurückgezogen und mit seinen Problemen, mit seiner Krankheit beschäftigt. Daran das mein Vater mich mal auf den Arm genommen oder albern/kindlich mit mir gespielt oder getobt hat, kann ich mich nicht erinnern. Ich muss denke ich nicht erwähnen, dass er durch seine eigene Geschichte ebenfalls depressiv war. Du siehst, das Thema Krankheit ist und war bei mir schon immer sehr präsent! So eignete ich mir auch einige Verhaltensweisen an, die sagen wir es mal neutral, nicht förderlich waren. Zum Beispiel alles in sich reinfressen, versuchen alles mit sich selbst auszumachen, die Hoffnung zu verlieren, das Vertrauen Hilfe zu bekommen bzw. Hilfe in Anspruch zu nehmen… Auf emotionaler Ebene habe ich ebenfalls Schwierigkeiten. Die für mich schlüssigste Erklärung ist die Hilflosigkeit als Kind. Mit einer gewissen Erwartung und Bedürfnissen bezüglich des Vaters, welche dann aber ins Gegenteil umschlagen aufgrund seiner Situation. Schwer für mich das in Worte zu fassen, ich hoffe du weißt ungefähr wie ich das meine. Ich versuche es anhand einer Situation nochmal zu verbildlichen:
Klein Michi freut sich auf den von der Arbeit kommenden Papa, möchte mit ihm spielen und Zeit verbringen, Aufmerksamkeit, usw. – Papa kommt von der Arbeit, langer, stressiger Tag, langer Arbeitsweg, Schmerzschub, sehr in sich gekehrt, verständlicherweise schlecht gelaunt, zieht sich dann zu Hause zurück – klein Michi steht da und versteht das nicht.
Die Bedürfnisse sind nicht nur nicht erfüllt, sondern schlagen genau ins Gegenteil um… Leider hat dies langfristig dafür gesorgt, dass es mir generell sehr schwer fällt meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen, zu benennen und dann auch einzufordern. Sei es in Beziehungen jeglicher Art oder auch nur für mich allein. So bin ich über die Jahre dazu gekommen aufkeimende Emotionen möglichst früh zu ersticken! Einfach nicht zulassen war einfacher als enttäuscht zu werden. Das dies auf Dauer mehr als ungesund ist, brauche ich dir vermutlich nicht zu sagen. Deshalb ist es für mich wichtig, neben dem Zulassen von Emotionen auch auf mein inneres Kind zu hören und ihm zu folgen! Ein schönes Bildnis, welches ich als Ratschlag einer Mitpatienten in der Therapie gegeben habe, trifft auch auf mich zu: Sieh dein inneres Kind, nimm es als erwachsenes Ich an die Hand, zeig ihm das du es hörst und siehst und du für es da bist!
Nun hast du einen Einblick in meine Situation. Sicher ist da noch mehr, aber das würde in diesem Beitrag den Rahmen sprengen. Bestimmt komme ich auf einiges später noch irgendwie zusprechen. Wie und mit welchen Mitteln ich in der Therapie zu meinen Erkenntnissen gelangt bin, kann ich eventuell auch nochmal gesondert behandeln. Allerdings finde ich das schwierig, da so Laienpsychologie auch nach hinten losgehen kann – das sollten dann doch lieber die Profis übernehmen. Vielleicht finde ich einen Weg zumindest grob aufzuzeigen, was sich für mich als hilfreich erwiesen hat im Bezug auf Therapie, ich denke mal drüber nach!
Mir ist es übrigens enorm wichtig zu erwähnen, dass ich zu keinem Zeitpunkt jemandem eine Schuld oder eine Verantwortung für meine Situation, meine Depression geben möchte!!! Alle Menschen in meinem Umfeld haben und hatten ihre Gründe so gehandelt zu haben. Am Ende des Tages hat mich das alles nur viel stärker gemacht als Mensch!

Jetzt sind doch einige Tränen bei mir geflossen, als ich diesen Text geschrieben habe! 😥
Ich vermisse dich, Papa! Hab‘ dich lieb!🌹🖤
Was tun bei akutem Bedarf an Hilfe / Suizidhotline / TelefonSeelsorge:
Abschließend möchte ich dich informieren wo und wie man akut Hilfe bekommt! Unter den Rufnummern 0800-1110111 und 0800-1110222 bekommen Erkrankte und Angehörige Soforthilfe. Die Hotline ist täglich 24 Stunden erreichbar, anonym und kostenlos. Die „TelefonSeelsorge“ bietet auch Mail-, Chat- und Vor-Ort-Beratungen an.
Ansonsten sollte im Umkreis deines Wohnortes eine psychiatrische Institutsambulanz bzw. eine psychiatrische Klinik sein, dort kann dir auch geholfen werden (einfach googlen)!
Wenn du mich kennst, scheu dich nicht mich auf irgendeinem Weg anzusprechen! Ich bin total gern bereit dir weiterzuhelfen, solltest du oder jemand in deinem Umkreis betroffen sein und Hilfe brauchen!
Das war jetzt ein für mich sehr schweres Thema! Lange habe ich diesen Beitrag vor mir hergeschoben… Danke für dein Interesse und das Lesen! Als nächstes schreibe ich einen Beitrag über die Krankheitsverarbeitung und die Akzeptanz im Bezug auf die Anämie bzw. die unbekannte Erkrankung.
Bist du oder ist jemand in deinem Umfeld in Kontakt mit dem Thema Depression? Wie gehst du mit dem Thema um? Bist du eher offen damit oder weiß niemand davon? Schreib mir doch gern einen Kommentar oder wenn du es nicht öffentlich mitteilen möchtest eine Nachricht auf Instagram oder eine E-Mail
10 Comments
Kristin
August 24, 2022 at 13:52💛
Ghostmeier
August 24, 2022 at 21:23💛
Anonym
August 24, 2022 at 14:12😪
Ghostmeier
August 24, 2022 at 21:24🙂❤️
Sabrina
August 24, 2022 at 18:37Echt stark, Michi! Leider kenne ich diese Thematik auch zur Genüge und finde es echt toll, wie du damit umgehst – Respekt!
Ghostmeier
August 24, 2022 at 21:28Hey Sabrina,
danke für deinen Kommentar! Es klappt mal mehr, mal weniger gut. Immer stark sein funktioniert nicht. Ich finde es dennoch wichtig zu zeigen, dass wir nicht allein sind und das es immer auch einen Weg gibt zu lernen damit umzugehen oder im optimalen Fall da raus zukommen!
😊 viele Grüße und ich sende dir viel Energie, wofür auch immer du sie benötigst!
Michi
Claudia
August 25, 2022 at 14:45Hey huhu Michi! Ich kann Dir sagen, ich weiß selber erst seit einem halben Jahr davon, realisiere erst jetzt, dass ich es schon länger habe, und es weiß noch nicht wirklich jemand davon. Kann jetzt zwar jeder hier lesen, aber ich bin jetzt auch auf einem Level angekommen es kommunizieren zu können.
Beste Grüße aus Bad Oeynhausen sendet
Coaching Veggie
Ghostmeier
August 25, 2022 at 17:05Hey Claudia! Ich finde es sehr mutig dir einzugestehen und vor allem es auch öffentlich zu machen, dass du betroffen bist! Das ist in meinen Augen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung! Ich wünsche dir viel Kraft und weiterhin Mut deine Themen anzugehen 💪🍀
Viele Grüße
Michi
Myriam
August 25, 2022 at 22:08Hey Michi! Vielen Dank für deinen Beitrag, in dem ich soviel wieder erkannt habe. Ich würde es schön finden, wenn du das Thema weiter verfolgst, denn ich hatte den Eindruck, dass du hier zwar einen sehr persönlichen aber doch erstmal groben Überblick beschrieben hast. Jedoch ist das Thema so unglaublich vielschichtig, was du an einigen Stellen auch erwähnst, dass ich es wirklich toll finden würde, da noch ein bisschen mehr ins Eingemachte zu gehen. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Menschen, die vielleicht noch Neulinge auf dem Gebiet sind oder evtl. noch gar nicht wissen, was „mit Ihnen nicht stimmt“, sich hier wieder finden könnten.
Mich hat der Beitrag sehr berührt und ich habe mich wieder an meinen Werdegang erinnert, vom ersten Zusammenbruch, den ersten Erkenntnissen bis jetzt, 10 Jahre später, als alter „Depressionshase“ der gelernt hat (zumindest erstmal ;-)), mit der Krankheit zu leben. Und ich stimme dir zu. Es war ein verdammt harter Weg, aber er macht uns unendlich viel stärker!
Alles Liebe, Myriam
Ghostmeier
August 25, 2022 at 22:38Hey Myriam!
Wiedermal vielen Dank für deine lieben Worte! 😊 Ich werde sicher noch gezielter auf einige Bereiche eingehen. Hatte das Gefühl schon so viel in diesen Beitrag gequetscht zu haben, dass es uninteressant wird… Aber die Resonanz die ich bekomme, zeigt wie wichtig auch meine Efahrung rund um das Thema Psyche zu sein scheint. Wenn ich ein wenig aufklären, informieren oder helfen kann, ist es es das allemal wert!
Dir möchte ich auf jeden Fall mit auf den Weg geben, dass du deine liebevolle Art beibehalten sollst! Du bist ebenso wie ich sehr reflektiert und triffst mit deinen Gedanken und Worten immer den Nagel auf den Kopf! Auch ich bin ja nun ein alter Depressions-Hase und habe bisher selten jemanden kennengelernt, der so mitfühlend und empathisch ist wie du! Ich denke gern an die Worte zurück die du mir und anderen mit auf den Weg gegeben hast in unserer gemeinsamen Zeit und hoffe, dass du für dich ebenfalls den Umgang mit unseren Problemen akzeptierst, besser damit leben kannst und mit gehobenem Haupt in die Zukunft schaust! Ganz viele liebe Grüße und fühl dich gedrückt! 💚
Michi