„Du weißt, ich liebe dich, doch das bedeutet für dich nichts, wie soll ich leben ohne Kuss von dir?
Oh du weißt ich liebe dich, von deinem Blut ernähr‘ ich mich, du bist die Jungfrau und ich dein Vampyr“ – Die Ärzte


Es ist an der Zeit, dass ich versuche dir einen der beiden Hauptgründe dieses Blogs näher zu erklären. Jetzt geht es ans Eingemachte: Es geht um meine derzeitige Diagnose unklare Anämie. Zu erst erfülle ich meine edukative Aufgabe, also Hefte raus, Klassenarbeit! 👨‍🏫

Was ist eine Anämie überhaupt?

„Eine Anämie (deutsch Blutarmut, umgangssprachlich auch Blutmangel, früher auch Bleichsucht) ist eine Verminderung der Hämoglobin-Konzentration im Blut (oder alternativ des Hämatokrits) unter die alters- und geschlechtsspezifische Norm.“

Quelle: Wikipedia

Ich habe also zu wenig rote Blutkörperchen… Der Hämoglobin-Wert (kurz HB) eines gesunden Erwachsenen in meinem Alter sollte so bei 14 – 18 g/dl liegen. Mein letzter geprüfter HB liegt bei 10,3 (Stand: 22.07.2022), wobei dieser Wert verfälscht ist, da ich einen Tag davor 2 Bluttransfusionen erhalten habe. Vorher war der Wert bei 8,7 (21.07.2022).

Mit meiner Fachärztin (Hämatologie) habe ich verabredet, dass wir bei einem HB-Wert von +/- 8,5 die Gabe von 2 Blut-Konserven (Erythrozyten, also den roten Blutkörperchen) in die Wege leiten. Zum Ablauf der Bluttransfusion mache ich einen separaten Beitrag 🙂 🩸

Der Negativrekord müsste irgendwann 2017 gewesen sein, da hatte ich einen HB von 5,7! Also weit weniger als die Hälfte des Normalzustands. Glaub mir wenn ich dir sage, dass ich mich bei diesem Wert extrem mies gefühlt habe. Um ehrlich zu sein sogar mehr tot als lebendig…

Zur Anschauung hier eine Übersicht bzgl. der Klassifizierung einer Anämie:

Grad 0: Hb-Wert im Normbereich (12,0–16,0 g/dl bei Frauen und 14,0–18,0 g/dl bei Männern)

Grad 1: milde Anämie (Hb-Wert > 10 g/dl bis Normbereich)

Grad 2: mäßige Anämie (Hb-Wert 8,0–10,0 g/dl)

Grad 3: schwere Anämie (Hb-Wert 6,5–7,9 g/dl)

Grad 4: lebensbedrohliche Anämie (Hb-Wert < 6,5 g/dl).

Quelle: Ärzteblatt

Wie macht sich eine Blutarmut bemerkbar? Wie fühlt es sich an?

Ich gehe jetzt mal etwas genauer darauf ein, wie es sich bei mir bemerkbar macht. Sowohl 2017 als auch 2021 habe ich gespürt, dass ich irgendwie sehr kurzatmig bin. Zu dem Zeitpunkt habe ich im Dachgeschoss gewohnt und musste also immer ordentlich Treppen steigen. Irgendwann war ich nach dem „Aufstieg“ dann so außer Atem, dass ich mich für einige Minuten aufs Bett legen musste um wieder zu Luft zu kommen. Also ab zum Onkel Doktor… Dort wurde dann anhand des Blutbildes festgestellt, dass der HB Wert zu niedrig ist. Diese Kurzatmigkeit besteht bis heute, meist ist es etwas besser wenn ich frisch Blut bekommen habe und es wird dann wieder nach einiger Zeit schlechter. So als grobe Maßeinheit: wenn ich eine Kiste Wasser vom Auto direkt ins Haus schleppe, ringe ich nach Luft wie ein Marathonläufer nachdem er durchs Ziel gekommen ist und hab Herzrasen wie jemand der Frisch verliebt ist… -> Atemlosigkeit, Puls/Herzrasen

Wenn ich viel auf den Beinen bin (5.000 Schritte sind für mich heute viel), auf einem Konzert war oder Einkaufen gehe, bin ich danach fast stehend K.O. Zusätzlich zu der oben erwähnten Atemlosigkeit werde ich also enorm schnell Müde und habe einen erhöhten Bedarf an Schlaf. Nachts ca. 10 Stunden und am Nachmittag meist nochmal 2 Stunden! 😴 Oft bin ich so kaputt, dass ich kaum Antrieb habe überhaupt irgendwie aktiv zu werden… -> Müdigkeit, Erschöpfung, Antriebslosigkeit

2017 hab ich enorm Gewicht verloren weil ich total appetitlos war. Kein Hunger auf irgendwas… Über 40 kg, alle Fettreserven aber auch ne gewaltige Portion Muskelmasse futsch. Ich glaube ich konnte 2 Kleidergrößen kleiner tragen! Heute habe ich wieder ordentlich Gewicht zugelegt. Als Nebenwirkung eines meiner Medikamente verspüre ich enormen Heißhunger und habe kaum ein Sättigungsgefühl also ist dieses Symptom quasi ausgehebelt. Kräftemäßig war ich am schlimmsten Punkt zu schwach um eine Flasche Wasser aufzudrehen. Einkaufen ging nur im Rollstuhl. Heute benötige ich ab und zu einen Rollator wenn ich auf Konzerten/Festivals länger stehen muss (nutze ihn als Sitzgelegenheit). Auch die Leistungsfähigkeit was zum Beispiel das Tragen von Dingen angeht, ist etwas besser aber immer noch weit entfernt von gut. Duschen geht seit 1,5 Jahren nur mit einem Duschhocker im Sitzen. Es ist irgendwie schwierig objektiv eine Art Maßeinheit zu finden (🍌 for scale 😆), aber ich hoffe du verstehst durch meine Beschreibungen trotzdem ungefähr wie ich mich fühle… Ich war zum Beispiel zu Besuch bei einem Freund (Timo). In der Garage steht ein Schrank mit seitlich zu öffnenden Schiebetüren. Ich versuche den Schrank zu öffnen, scheitere kläglich und frage: ‚Ist der abgeschlossen?‘ – Timo öffnet den Schrank mühelos, ich konnte die Türen nicht ansatzweise bewegen 🤷‍♂️ -> Kraftlosigkeit, Appetitlosigkeit

Streckenweise hab ich Schwierigkeiten zu lesen, ich weiß am Ende eines Satzes nicht mehr was am Anfang stand… Mein Gedächtnis ist dann auch in einer Art Stromsparmodus. Ich hab das jetzt die letzten Monate trainiert und es ist heute deutlich besser (habe viel gelesen, Sudokus, Kopfrechnen und Rätsel gemacht) -> niedrige Konzentrationsfähigkeit, Reduktion der kognitiven Fähigkeiten

„Könnte ich dir anmerken, dass du eine Anämie bzw. einen niedrigen HB hast?“ – Von außen ganz klar anzusehen sind bei mir bei niedrigem HB vor allem -> extrem helle, fast weiße Lippen

Als Nebenwirkung der häufigen Bluttransfusionen (Erythrozytenkonzentrate enthalten 200-250 mg Eisen) habe ich eine Eisenüberladung, mein Körper hat ca. 10x so viel Eisen (Ferritin) eingespeichert als es normal wär (mein Serum Ferritin Wert liegt derzeit bei 2.800 ng/ml, normal wären 0-500 ng/ml). Symptome sind unter anderem wiederkehrende Müdigkeit und allgemeines Schwächegefühl… Also alles dann zusätzlich verstärkend zu den eh schon durch die Anämie aufgetretenen Symptomen. Der Wert sollte gesenkt werden, da sich das überschüssige Eisen sonst in Organen wie Lunge, Herz, Nieren, Leber einlagert und die Wahrscheinlichkeit von Organversagen und weiteren Krankheiten erhöht wird. Um das überschüssige Eisen aus dem Körper zu bekommen, nehme ich ein teures Medikament ein (Exjade 360mg, ein Eisenchelator, 90 Tabletten = ca. 3.600,- EUR) -> Eisenüberladung

Anfangs waren die Entzündungswerte im Blut sehr erhöht und ich konnte den Wecker danach stellen: alle 3 Tage bin ich stundenlang nicht in den Schlaf gekommen weil ich gefroren habe wie ein Schlosshund (woher kommt eigentlich diese Redewendung?). Nach dem Frieren folgte dann das absolute Gegenteil. Ich habe geschwitzt ohne Ende. Ich musste morgens die Bettwäsche wechseln weil alles klitschnass war. Mein T-Shirt konnte man auswringen! Das hat sich dann über die Zeit gelegt, tritt heute noch selten auf. Ich habe den Eindruck, dass es auftritt wenn ich über meine körperlichen Grenzen gehe, ich mich also zu sehr anstrenge. Fühlt sich an als ob ich dann irgendwie die Quittung dafür bekomme (normalerweise kann ich meine körperlichen Grenzen gut einschätzen, manchmal geht es aber nicht anders und ich belaste mich etwas zu viel). -> Fieber, Schüttelfrost, Nachtschweiß

Last, but not least: Natürlich leidet auch die Psyche enorm unter der Anämie. Versuch dir mal vorzustellen, dass du mehr oder weniger von heute auf morgen nichts mehr so machen kannst wie gewohnt, du unter den ganzen von mir beschriebenen Symptomen leidest du über 1,5 Jahre lang krankgeschrieben bist und von Arzt zu Arzt wanderst, niemand dir sagen kann was du eigentlich hast und vor allem wie du es wieder los werden kannst! Wenn dich das psychisch kalt lassen würde, wow Respekt, ich ziehe meinen Hut… Ich werde hierauf in kommenden Beiträgen genauer eingehen. Es wird etwas generelles zum Thema Depression kommen und ebenfalls etwas zum Thema Krankheitsverarbeitung/Akzeptanz -> Depression, Psyche

Das sind jetzt plakativ die Symptome, die ich direkt spüre. Ich bin dankbar, dass ich nur selten Schmerzen habe. Zu allem oben gennannten kommen noch ein paar weitere „Kleinigkeiten“… Bei sehr niedrigem HB-Wert spüre ich ab und an so einen schwer zu beschreibenden Druck/Schmerz/Enge im Brustraum, jeder Herzschlag ist dann wie ein Boxschlag von innen an meine Brustwirbel. Die Venen an meinen Armen sehen aufgrund der vielen Blutkontrollen (min. 1x Woche) und der Transfusionen etwas in Mitleidenschaft gezogen aus. Sie sind vernarbt und teilweise auch entzündet. Ich muss immer taktieren welchen Arm ich denn hinhalte. Meist nehme ich den rechten Arm für raus (dort laufen irgendwie die Transfusionen nicht richtig bzw. nur sehr langsam rein) und meinen linken Arm für rein. Fun-Fact: Ich kann auch nach knapp 150 Transfusionen und ebenso vielen Blutkontrollen immer noch nicht hinsehen wenn ich gestochen werde/mir ein Zugang gelegt wird 🙂 – einmal Schisshase, immer Schisshase. Meine Nieren merke ich auch öfter, das liegt an den Nebenwirkungen der Medikamente und der Bluttransfusionen.


Puh… Das war jetzt doch ne ganze Palette an Symptomen und auch viel Text. Danke, wenn du es geschafft hast bis hierhin zu lesen. Ich hoffe ich konnte dir einen Einblick geben, wie es mir mit der Anämie geht.

Abschließend möchte ich dich animieren Blut zu spenden! Das tut wirklich nicht weh und hat dennoch eine große, wichtige Wirkung! Der Slogan „Schenke Leben, spende Blut“ klingt zwar irgendwie abgedroschen, aber ich bin ein Beispiel dafür, dass da doch gewaltig etwas dran ist.

Hast du schon mal Blut gespendet? Möchtest du genauer etwas über meine Symptome wissen? Schreib es gern in die Kommentare!